Ist Wachstum heutzutage unser Hauptziel?
Ist Wachstum heutzutage unser Hauptziel?
Ein Artikel über den OECD-Bericht zur Regionalentwicklung der Metropolregion Hamburg.
Am 23. September 2019 hat die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung / Organisation for Economic Cooperation and Development) ihren Bericht zur Regionalentwicklung der Metropolregion Hamburg (MRH) veröffentlicht. Die Hauptaussage des Berichts ist sicherlich, dass "die Zusammenarbeit über Kommunal-, Länder- und Staatsgrenzen hinweg ausgebaut" werden muss, wenn es gelingen soll, "die in einem internationalen Kontext kritische Masse zu erreichen und den langfristigen Nutzen für die gesamte Region zu maximieren."
Die Frage, die sich stellt ist aber, ob man das wirklich will; ob das das entscheidende Ziel ist? Aber dazu später mehr.
Vorab: Was versteht man unter der "Metropolregion Hamburg" seitens der OECD genau? Es handelt sich um das Gebiet, das von Dithmarschen über Segeberg, Ostholstein im Uhrzeigersinn weiter über Schwerin und Ludwigslust-Parchim, Lüchow-Dannenberg und Uelzen, den Heidekreis und Rotenburg bis nach Cuxhaven reicht und eingeschlossen wird. (s. Grafik).
Die OECD hat sich aus eigenem Antrieb heraus entschieden, unsere Region genauer zu betrachten. Sie sagt über sich selbst: "Das Ziel der OECD ist es, eine Politik zu befördern, die das Leben der Menschen weltweit in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht verbessert." Im Bericht zur Metropolregion ist ganz klar der wirtschaftliche Faktor im Fokus. Die Hauptaussagen der OECD im Einzelnen: Trotz guter Wirtschaftsleistung werde die MRH von süddeutschen Metropolregionen überholt, die Arbeitsproduktivität sei im Vergleich niedrig, das Wachstumspotential werde nicht in vollem Umfang ausgeschöpft.
Einer der Hauptgründe sei auch in der Bildung der Beschäftigten zu sehen, man finde ein geringes Kompetenzniveau und wenige Beschäftigte im Hightechbereich. Gerade der Fachkräftemangel wirke sich auch hier aus. Ein Mangel an Großunternehmen bringe zusätzlich niedrige Ausgaben im Forschungs- und Entwicklungsbereich mit sich, Risikokapital werde dadurch eher anderswo investiert.
Die OECD verweist auf ein fehlendes gemeinsames Konzept innerhalb der Region zur Bündelung von Ressourcen und Kapazitäten. Festzustellen sei auch eine Stadt-Land-Kluft in Hinblick auf den Breitbandausbau, aber auch ein Ost-West-Gefälle, was der gesamten Entwicklung schade. Das Verkehrsangebot stelle im Bereich des Großraums Hamburg durch den HVV ein erfolgreiches Beispiel für regionale Zusammenarbeit dar.
Das Mobilitätsangebot außerhalb dieses Bereichs steht aber in einem krassen Gegensatz dazu. Klar aufgezeigt wird auch das Problem des Wohnungsmarktes: Extrem hohe Kosten im Kernbereich, ein Mangel an Bauland in Kernnähe und ein schrumpfender Sozialwohnungsbestand. Laut OECD könnte jedoch unsere Region im Bereich der erneuerbaren Energien eine globale Spitzenposition erlangen.
Kritisiert wird die schlechte Abstimmung zwischen Stadt und Land auch im Bereich des Tourismus. Denn hier sei es wie eben in den anderen Themenkomplexen auch: Die Region sei zu sehr mit dem lokalen Wettbewerb beschäftigt, um sich der globalen Konkurrenz zu stellen. Nicht nur daher rührt die Empfehlung der OECD, dass die Zusammenarbeit über Kommunal-, Länder- und Staatsgrenzen hinweg ausgebaut werden sollte, um das internationale Profil der MRH zu stärken. Interessant ist auf jeden Fall der Hinweis, dass in "Bildung und Humankapital" investiert werden sollte, um sowohl die wirtschaftliche als auch die technologische Entwicklung anzutreiben.
Der OECD geht es um eine volkswirtschaftliche Maximierung, sie sucht Wachstumschancen und Möglichkeiten zur Steigerung der Lebensqualität. Diese Lebensqualität wird aber nur zu einem sehr geringen Anteil an der Umwelt, der Natur und der Gesundheit festgemacht. Das Thema "Schutz der Naturräume" ist erst sehr weit hinten zu finden und auch hier nur als "Freizeitwert" beschrieben. Aber es handelt sich eben um die OECD, nicht um eine Organisation, die eine ganzheitliches Betrachtung oder eine nachhaltige Entwicklung im Fokus hat.
Entsprechend ist nun die Politik gefragt, aus diesem Ergebnis, das nur durch einen wirtschaftlichen Blick auf die Region entstanden ist, die wichtigsten Punkte herauszupicken, die in ein vollständiges Zukunftsbild der Metropolregion Hamburg mit bürgernahen und sinnstiftenden Entwicklungszielen passen.
Wer nur die Vorschläge der OECD nimmt und umsetzen möchte, geht wieder nur den Weg des Weiter-so-wie-bisher!
Die wirtschaftliche Entwicklung darf nicht mehr Nummer eins auf unserer Agenda. Das heißt nicht, dass sie damit am Ende der Prioritäten-Liste steht. Aber davor kommen sicherlich Punkte wie die Herausforderung des Klimawandels, der Umwelt- und Naturschutz, ein Schließen der immer weiter auseinandergehenden Sozialen Schere und lokale bzw. regionale Bürgerinteressen. Machen wir also vorab unsere Hausaufgaben und überlegen uns, wie wir in Zukunft in der Metropolregion leben und arbeiten wollen, klären wir, wie stark wir unsere lokale Verbundenheit sehen und leben wollen oder, umgekehrt formuliert, wie stark wir uns öffnen und verändern wollen.
Wie stark soll der Tourismus in unserer Region eine Rolle spielen? Ist Wachstum ein erklärtes Ziel aller oder einer Mehrheit? Die Studie bietet auf jeden Fall Mehrwert und uns genau das, was die OECD ja auch sich selbst auf die Fahnen schreibt: Sie befördert die Politik! Es ist nun also an uns, wir haben es in der Hand.
( Link zum vollständigen Bericht: http://www.oecd.org/berlin/publikationen/regionalentwicklung-metropolregion-hamburg.htm)
Jürgen Petersen